… aus dem Kloster

BERICHT EINES TEILNEHMERS

Aus Sächsische Zeitung vom 12.12.2001

Wenn ein Schwabe in der Lausitz fastet

von Helmut Jakob, Baienfurt

Im wilden Süden der Bundesrepublik lag da in einer Praxis so ein Faltblatt über’s Fasten aus. Ich bin interessiert, bei meinen 178 Zentimetern und 85 Kilo. Fünf Kilo hätte ich schon gerne weniger an Gewicht. Also schaue ich mir erst mal an, wo das überhaupt liegt. Großraum Dresden, Autobahn A 4, Ausfahrt Uhyst und da isses, das Kloster St. Marienstern in Panschwitz-Kuckau. In Hotels ist das Fasten für etwa 1 200 Mark zu haben. Hier bieten sich ein Klosterambiente und Vollpension für nur 700 Mark. Eigentlich ein Schnäppchen? Da ich keine Berührungsängste habe, beschließe ich zu buchen. Die Anreise unternahm ich mit der Fastenleiterin Roswitha Zidorn, einer Ravensburgerin. Ankunft im Kloster: Beeindruckt sah ich mich um. Gespannt wartete ich nun auf das erste Zusammentreffen mit den Sachsen. Mir war klar, dass ich mich mit meinem ersten Satz als Schwabe zu erkennen gebe: Wir haben es ja mit dem „sch“. Meinen Dialekt wollte ich auch bewusst nicht verbergen. Gleich bei meinem ersten Satz machte ich meinen ersten Fehler. „Ich bin hier der Wessi.“ Alle wendeten sich mir zu und straften mich mit Blicken. Das hatte gesessen! Dank meines Dialektes konnte ich dann aber immer wieder für Erheiterung sorgen, so dass sich die Situation dann doch entschärfte.

DER ERSTE FASTENTAG

Da wir jetzt ein geeintes Deutschland sind, konnte es also losgehen. Normalerweise ist Stuhlgang ja ein Tabu-Thema. Dieses Denken mussten wir über Bord werfen. Jeder berichtete über Häufigkeit, Konsistenz, Farbe und Geruch. Das so genannte „Glaubern“ ist die Darmentleerung, hervorgerufen durch das Trinken einer Salzwasserlösung. Bei mir waren acht Toilettengänge notwendig, bis ich es geschafft hatte. Ist der Darm leer, hat auch der Magen keinen Hunger mehr. Nur unsere Hirne dachten ständig ans Essen. Und so fütterten wir sie halt mit Kochrezepten. Wir mussten sehr viele Rezepte austauschen, bis endlich alle Gehirne satt.

DIE NäCHSTEN FASTENTAGE

Von nun an ging’s bergab mit dem Gewicht. Unser Tagesprogramm startete mit Walking am frischen Morgen. Frühstücks-Tee mit anschließendem Fasten-Gespräch, danach der Leberwickel und eine Stunde Ruhe. Die Wassersuppe am Mittag löste immer lange Gesichter aus. Tja, Fasten ist eben kein Zuckerschlecken. Dann wandern wir ab nachmittags um halb Drei bis zur Erschöpfung. Bei eisigen Temperaturen macht das so richtig hungrig auf den abendlichen Saft. Dabei schmeckte uns besonders gut der Sauerkrautsaft, ja der hat es in sich, zumindest beim Aroma. Abends gaben wir unseren Körpern dann Entspannungsübungen. Neben dem Wandern schauten wir uns die Schatzkammer und ein Video über das Kloster an. Schwester Thaddäa beantwortete unsere neugierigen Fragen mit Witz und Humor. Eigentlich ganz logisch, dass Nonnen eine Ausbildung machen und dass diese ebenfalls sozial- und rentenversichert sind, dachte ich danach. Auch bei Nonnen gibt es Konflikte wie unter uns. Das ist völlig normal, denn sie sind ja auch „nur“ Menschen. Petra bemerkte, dass ihre Fingernägel langsamer wuchsen, ich stellte fest, dass mein Bartwuchs zurückging. Es ist erstaunlich, was der Körper doch so alles anstellt, um seine Fettreserven zu schonen! Nach fünf Tagen hatte ich meine historische Marke von 80 Kilo unterschritten, und es sollte noch ein Kilogramm weitergehen. In jenem Moment setzte mein Körper Glückshormone frei. Niemals hätte ich mit klassischen Methoden dieses Ziel erreicht. Ich war richtig stolz auf mich, und es sollte noch lange so anhalten.

DAS FASTENBRECHEN

Es ist 10 Uhr. Ein denkwürdiger Tag: Die Mädels legten ihr schönstes Halstuch an und wir Buben, hätten wir denn eine Krawatte dabei gehabt, wir hätten sie umgebunden. Wir betraten den Speisesaal diesmal gemeinsam. Es erwartet uns Kerzenschein mit Musik, beinahe wie an Heiligabend. Die Fastenleiterin trug ein Gedicht vor, und wir verstummten in Andacht. Vor jedem von uns lag ein paradiesischer Apfel, den es zu bezwingen galt. Der erste Biss . . .. der zweite, der dritte. Ich spüre, wie mein Magen jeden davon aufnimmt, wie er beginnt zu verdauen: Ein inniger Moment für Körper und Geist. Stolz auf den Magen, der nun wieder seine Arbeit aufnimmt, dankt es ihm der Geist mit einer heimlichen Träne. Für den Apfel haben wir dann doch nur eine halbe Stunde benötigt . . . Von nun an ging es mit dem Gewicht wieder bergauf, aber das darf es ja auch. An diesem Abend blieben wir besonders lange zusammen.

DER LETZTE TAG

Nachdem sich am letzten Abend alle einig waren über die besten Gewürzgurken und den besten Senf, den es in Deutschland je gegeben hat, bin ich natürlich neugierig geworden. So machte ich mich also auf die Suche nach Spreewälder Gewürzgurken und Bautzener Senf. Beides wirklich hervorragend. Gott sei Dank habe ich jetzt genügend Bekannte, die mir ein Fresspaket in den Westen senden können. Nach dem Mittagessen verabschiedeten wir uns alle mit einer Umarmung, und Eberhard sagte zu mir: „Schön, dass du da warst.“ Das hat mich riesig gefreut.